SUPERSUIT : TAG 5 IM KÄFIG
Der Haydn Park liegt fast verlassen da. Ein Trupp des Gartenbauamtes durchkämmt ihn, säubert, klaubt am Boden liegende Äste oder Müll auf. Selbst als ab und zu etwas Sonne durch die ansonsten dichte und graue Wolkenschicht drückt, hat das nur wenig Einfluss auf den Publikumszulauf. Ein Freund, der zur Aktion gekommen ist und mich zum ersten Mal im Anzug sieht, meint, dieser hätte etwas engelhaftes. „ Weiss“, denke ich, „urban – alchimistische Hochzeit, Albino – Fledermaus, weisser Vampir, gefallener Engel, Comic –Hero, Segensgestalt, katholische, Schleiermaus…“. Und sage: „In der Nacht wird das Teil auch als Projektionsscreen verwendet werden, eigentlich würde grau wohl auch als Projektionsfläche funktionieren, weiss wird aber die Luminanz der Bilder erhöhen“.
„Ich finde es mutig, das Ganze in Weiss zu machen,“ entgegnet der Freund. Kurz denke ich an Philipp Gehmachers Grauraum – den Hybrid zwischen „white cube“ und „blackbox“, verfolge aber den Gedanken nicht weiter und entscheide mich für die Parkbänke als Location. Die liegen im Sonnenlicht und sind auch der einzige Ort, wo sich wenigstens ein paar Leute aufhalten. Eine Frau und ein Mann, die gerade lautstark Beziehungsangelegenheiten verhandeln, das Wort „curva“ ist einige Male zu hören und zwei Männer, die Zigarette rauchen. Der eine fragt nach, was ich hier vorhabe. Ich erkläre kurz das Konzept des Supersuits, worauf er nickt und „Aha, Kunst“ sagt. Ich lade beide ein, beim Aufbau mitzuhelfen, was sie jedoch ablehnen. Sie hätten nur wisssen wollen, worum es gehe, machten gerade Pause und würden demnächst wieder aufbrechen. Der Wind bläst sehr stark, sodass klar ist, dass ich den Anzug an unbeweglichen Punkten fixieren muss. An der Wand des Sportgebäudes direkt hinter den Bänken sind in regelmässigen Abständen gebohrte Metallzylinder angebracht. Mit Kabelbinder befestige ich eine erste Stange, um sie in der Folge mit einer zweiten Stange zu verbinden, welche ich in die Laschen der Anzugsextension eingefädelt habe. Sobald ich den Stoff auseinanderklappen lasse, fährt der Wind hinein, bläst die Fläche auf und wölbt sie in seinen Rhythmen. Ich stemme mich im Anzug gegen die entstehenden Kräfte, die sich über das Rückenteil angenehm auf den Körper verteilen. Ein paar Jungs gehen Fussballspielen durch das gleich nebenan befindliche Metalltor, sie blicken kurz her, bevor sie auf der Rasenfläche hinters Haus verschwinden. Etwas später kommt ein Bub auf einem bunten Plasticroller angefahren, positioniert sich vor Anzug und Kameralinse, grinst, macht mit den Fingern ein V-Zeichen bevor er ohne ein Wort zu verlieren den Tretroller mit kräftigen Stössen wieder Richtung Bäume vorantreibt.
Einige Wind-Experimente später kommt der Platzwart um nachzusehen, was wir denn bei seinem Haus trieben. Er ist sehr freundlich, drückt meinem Freund, der inzwischen als Dokumentarist und Assistent fungiert und mir die Hand und fragt nach, wie lange wir denn noch zu bleiben gedenken, und ob wir auch nichts beschädigen. Ich benutze die Gelegenheit um meinerseits anzufragen, ob ich den Anzug auf dem riesigen Fussball-Platz aufbauen könne. Ein Begehren, dem er keine grosse Chance gibt, da dort doch dauernd Fussball gespielt würde. In der Früh seien die Schulen da, dann Freizeitspieler und am Abend Vereine, ich könne ja aber vorbeikommen und meine Nummer hinterlassen. Vielleicht ergebe sich einmal eine Lücke. Damit geht er ebenso plötzlich, wie er gekommen ist.
Wir probieren unterschiedliche Konstellationen von Stangen aus, Formen, die die Sitzbank ein- und umschliessen. Es will sich aber niemand setzen, auch ein Vater mit seiner Tochter nicht, die ein grellrotes, riesiges Plasticgewehr trägt. Abschliessend versuche ich, die gesamte Suit-Fläche an zwei Stangen alleine zu halten, den Wind so einzufangen, dass er hinter mir das Material zu einem spinnackerähnlichen grossen Bauch aufbläst. Erst als ich im Kreis zu laufen beginne gelingt das für kurze Zeit, dann fällt der Stoff zusammen. Nachdem ich diesen wieder gebündelt habe, die Rolle mit den Bändern festgezurrt und über die Schulter gelegt, und nachdem die Stangen auseinandergeschraubt und wieder im Köcher versorgt sind, gehen wir hinunter ins Café Industrie um Pause zu machen.
Der zweite Einsatz führt zum „Fussballkäfig“ über dessen Eingang eine Tafel einlädt „Werde Käfigmeister !“ Eine Telefonnummer für weitere Auskünfte und Anmeldung darunter. Junge Männer offensichtlich unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe in mehr oder weniger sportlichen Outfits, aber durchwegs grellbunte Sportschuhe tragend, jagen hinter einem Ball her. Ihre Bewegungen sind schnell und präzis. Es gibt kaum Fouls, obwohl mit vollstem Einsatz gekämpft wird. Knallend klatscht der Ball gegen das Gestänge, welches den Aufprall mit scheppernden Geräuschen und Vibrieren quittiert. Während ich zwei Mannschaften zusehe, verlässt mich kurz der Mut, weshalb sollten sie ihr Spiel unterbrechen und weshalb sich an einem beteiligen, welches um einen künstlichen Raum herum funktionieren müsste, der ihnen die Sicht rauben würde ? Ein paar unauffällige Blicke kommentieren mein Erscheinen, ansonsten bleibt die Aufmerksamkeit beim Spiel. Einer, der offenbar draussen steht, kann meine Frage nach der Dauer des laufenden Matches nicht beantworten, er zuckt mit den Schultern, spricht kein Deutsch. Ein Spieler einer anderen Konstellation, die im nahen zweiten Käfig spielen kommt daher, schwarz, spricht aber fliessend deutsch. ER erklärt sich bereit, mir mit dem Suit im Feld zu helfen, falls es soweit kommt. Als das Spiel endet, spreche ich mit einem Torhüter in grünem Pullover und bald steht eine Ansammlung Fussballer um mich herum. Einige nicken zu meinem Vorschlag, den Suit in der Mitte zu platzieren und sagen, „kein Problem“, als ich sie bitte, doch ein Spiel um den Suit herum auszutragen. Bald finde ich mich auf einem aufgesprühten Stern im Zentrum des Käfigs wieder, mich mit aller Kraft gegen den Wind stemmend, der hier unerbittlich angreift. Seltsame Linienrichter mit überdimensionaler Flagge, warten wir auf den Beginn. Es dauert dann doch einige Zeit, bis sich zwei Mannschaften formiert haben und bis in alle Sprachen übersetzt ist, dass wir tatsächlich auch während des Spiels auf dem Feld präsent bleiben werden. Dann aber geht es los, erst grinsend, aber nach und nach spielt der Anzug mit, für überraschende Züge aus seiner Deckung heraus oder einen unerwarteten Heber ist er allemal gut. Der Wind bläst so heftig, dass eine Stange einknickt. Abwechselnd links oder rechts jagen die Burschen hinter dem orangefarbenen Leder her, tänzelnd, sich schnell zupassend, Bälle unterlaufend, zuweilen wuchtig abdrückend. Ein Autofahrer der im Ampelrückstau steht brüllt aus dem heruntergelassenen Fenster unverständliche Kommentare, bevor er seinen Motor aufheulen lässt und davonbraust. Schliesslich steht es 7:5 und die Siegermannschaft versammelt sich zum Gruppenfoto vor dem Suit.
Im Käfig vergisst man den Käfig, man vergisst sogar die auf beiden Seiten vorüberrauschenden Autos – bis auf Momente der Unaufmerksamkeit – wennn etwa drei Jungs im mittleren, nach einer Seite offenen Teil spielen und plötzlich der Ball auf die Fahrbahn vor den gerade anrollenden Verkehrsstrom fällt, vor Autos, die das Spiel nur kurz spielen, den Ball anstossen, ihn eine Spur weiter hüpfen lassen, bevor er buchstäblich unter die Räder kommt und mit einem lauten Knall platzt.