SUPERSUIT: TAG 4 DER HERR IST VIEL ZU WEISS!
Unfreundliches Wetter und es ist kalt. Auf dem Weg den Gürtel entlang denke ich darüber nach, ob die Marx –Meidlingerstrasse vielleicht wegen Gottesdienstes zugeparkt sein könnte. Und „Waluliso“, kommt mir in den Sinn, der in den 80er Jahren in ein weisses Leintuch gehüllt durch die Stadt ging. Meistens hielt er einen Apfel in der Hand. Das tue ich nicht, aber etwas seltsam mag ich den Leuten schon vorkommen. „Erinnere dich daran, dass Du eigentlich ein ungezeichneter Comic-Held bist“ sage ich mir und spiele den Charakter weiter. In der Wiese neben der Kirche treiben sich vier Gestalten mit ebenso vielen Hunden herum, darunter mehrere gedrungene, Pitbull – Rottweiler Kreuzungen oder Tiere dieser Art, ein paar Gebüsche liegen zwischen uns und das ist mir ganz recht so. Trotzdem schlägt einer von ihnen laut bellend an.
Die Marx-Meidlinger -Strasse liegt völlig verlassen. Nur die schweren Wollken scheinen ständig tiefer zu treiben und ein heftiger, Wind bläst durchdringend. Auf der Suche nach der definitiven Location gehe ich langsam und suchend die Strasse ab. Ich könnte mich beim Maschendrahtzaun hinter der Kirche, einem schmucklosen, gigantisch wirkenden Bau festmachen, mein Radius würde dann aber nur bis zu den Parkplätzen reichen. Angesichts der Böen ist es sinnlos, an eine freistehende Architektur mitten auf der Strasse zu denken, der Wind würde mich einfach wegblasen. Vor einem aufgesprühten Tag auf einer metallenen, flächigen Absperrung bleibe ich stehen. Mir fehlt eine schlüssige Idee, alle Orte, die mich ansprechen würden, verfügen nicht über Andockmöglichkeiten.
Vorne bei der Kirche kommen nun zwischen Zaunecke und Gebüschen die vier Gestalten und ihre Hunde zum Vorschein. Bis auf einen sind alle angeleint. Dieser eine Hund steuert nun zielstrebig auf mich zu, macht einen Bogen, versucht, in meinen Rücken zu gelangen und beginnt, mich zu verbellen.
„Lass ihn, der Herr ist viel zu weiss!“ schreit sein Besitzer von der anderen Strassenseite, allerdings macht das auf den Hund keinen Eindruck. Er ist zu meinem Glück nicht sehr mutig, hält Abstand, schliesslich wird er angeleint und lässt sich widerwillig weiterzerren. Ich bleibe, gehe dann langsam zurück, beinahe bis zur angrenzenden „Gürtel“ – Strasse, wo der Abgang zur Unterführung Eichenstrasse zu sehen ist. Zwei Öffnungen, vermutlich durch Gewalteinwirkung, sind in der besprühten Metallabsperrung zu sehen… und ich entscheide, sie zu verwenden.
Ich beginne langsam meine Stahlstangen zusammenzuschrauben und lege sie an eine Holzlatte an, die hinter dem an einer Stelle zurückgebogenen Blech sichtbar wird. Nach und nach entsteht so ein Gerüst.
Von der gegenüberliegenden „Gürtel“- Seite werde ich von Hundehaltern beobachtet, die dort ihre Tiere in einem eingezäunten Geviert ausführen. Ein Audi biegt ein, parkiert auf der beinahe leeren Parkfläche, drei Männer sind zu sehen, die um das Auto herumstehen, manchmal blicken sie zu mir. Einmal wird die Motorhaube hochgeklappt.
Zwei Jungs mit einem grünen Skatebord kommen vorbei, schätzungsweise 12 und 14 Jahre alt. „Sind sie ein Künstler, fragt der jüngere? – „Ja, bin ich – und hier“, ich zeige auf die Metallstangen,“ habe ich das Gerüst für einen Raum gebaut, den ich aus meinem Anzug, dem Supersuit, ausfalten kann.“ „Cool“ meinen die beiden. „ Das ist aber ein Raum, der am besten gemeinsam aufgestellt wird.“ erkläre ich. Daraufhin zeigt mir der Ältere seinen bislang vom Jackenärmel verdeckten Finger, der in einem Gips fixiert ist. „Ich kann ihnen leider nicht helfen, heute, ich bin gestern in der Schule wo raufgeklettert und gestürzt und habe mir den Finger ausgekegelt und gebrochen.“ Fotografiert wollen die Beiden aber nicht werden. Sie machen sich wieder auf den Weg.
Alle anderen Leute weichen auf die andere Strassenseite aus, gehen mir aus dem Weg. Auch zwei Polizisten blicken nur kurz her und gehen weiter. „ Du bist so harmlos, dass sich nicht einmal die Polizei für Dich interessiert,“ denkt eine Stimme in mir. Die Wirkung des weissen Anzugs. Wie würden die Leute reagieren, wenn er grau wäre, oder gar schwarz?
Die Temperatur fällt weiter und der Wind frischt auf, die Wolken aus nordwestlicher Richtung werden noch dunkler. Regelmässig rauschen Autos vorne beim Gürtel vorüber oder halten im Takt der Ampelschaltung.
Ich beschliesse, den Supersuit nur im Tragemodus einzusetzen, positioniere mich selbst als eine Stütze für die Stangen und baue mich so in die Konstruktion ein. Nachdem ich alleine bin, hole ich mein Telefon heraus und mache ein paar Fotos.
Eine blonde Frau in dunkelblauer Uniform und eine grellgelbe Warnweste gekleidet erscheint beim Abgang zur Unterführung. Sie stellt sich auf die Innenseite, an die Glasfassade gelehnt, legt ein scannerähnliches Gerät auf die Ablagefläche daneben und zündet sich dann eine Zigarette an. Nur kurz streift mich ihr Blick. Mein weisser Anzug ist ebenso eine Art Berufskleidung, wenn auch eine ungewohnte, sogar für mich selber.
Auf der anderen Seite wird auf dem Parkplatz die Heck-klappe des Audi hochgeklappt, dann die Abdeckpanele herausgenommen. Etwas später lässt sich einer der drei Männer auf die Knie, legt sich auf den Asphalt, blickt unter die Karosserie. Ich beginne zu frösteln. Beim Audi reichen sich zwei der Männer die Hand und schütteln sie lange, es sieht aus, als ob sie ein Geschäft besiegeln. Dann steigen sie in den Wagen, sowie einen VW Golf und fahren weg.
In unregelmässigen Abständen kommen Hundehalter vorüber. Eine Frau geht im Gras neben dem Parkplatz, bleibt kurz stehen, tritt mit dem Fuss eine Coladose aus dem Grünen, folgt dann ihrem kleinen, weissen Hund. Mir ist kalt und es beginn zu regnen. Am Ausgang der Unterführung erscheinen zwei schwarzgekleidete Frauen, sie tragen einen roten und einen orangen Schirm, bleiben stehen, offenbar verwirrt, in welche Richtung sie gehen sollen, entscheiden sich schliesslich und verschwinden um die Ecke. Später, als die Ampel schaltet, sehe ich sie nochmals kurz auf dem Fussgängerstreifen. Der Regen nimmt zu, die Straße liegt menschenleer, ich beende die Aktion. Stange um Stange hole ich, ziehe mich unter einen Ast zurück, der über den Blechzaun reicht und kurzzeitig Schutz vor dem nunmehr strömenden Regen bietet.
Erst denke ich noch daran, den Anzug beim Cafe Fendi zu installieren. Der Regen rauscht jedoch mit solcher Nachdrücklichkeit vom Himmel, dass ich die Absicht aufgebe. Ich haste zur Unterführung, die sich auch als Zugang zur Strassenbahn entpuppt und nehme die nächste, die ich erwischen kann.